Warum Hildebrand Gurlitt seine Sammlung aus dem CCP Wiesbaden zurückerhalten hat
Der “Schwabinger Kunstfund”, die Kunstsammlung des Cornelius Gurlitt, weist noch viele Ungereimtheiten auf. Wo kommen die einzelnen Kunstwerke her? Sind sie rechtmäßig erworben? Hat Gurlitt sie enteignet? Inwiefern stehen sie in Zusammenhang mit seiner Tätigkeit als Kunsteinkäufer für die Nationalsozialisten? Mittlerweile wissen wir, dass er nach Kriegsende in Aschbach (Kreis Bamberg) von den Alliierten aufgegriffen wurde und in diesem Zusammenhang die dort gelagerten Teile seiner Sammlung in den Wiesbadener Central Collecting Point gebracht wurden. Er selbst hat darüber hinaus angegeben, dass er 1942 und 1945 in Hamburg und Berlin "total ausgebombt" worden sei. Ob dabei auch seine Kunstsammlung betroffen war, gibt er nicht an. Mit Rückgabeerklärung vom 15. Dezember 1950 erhält Gurlitt insgesamt 115 Gemälde, 19 Zeichnungen und 72 weitere Kunstgegenstände von den Alliierten zurückübereignet. Nur für zwei Kunstwerke (mit der Nummer WIE 2004/4 (Gemälde von Marc Chagall “Fabulous Scene”) und WIE 2004/5 (Gemälde von Piemann (?) “Woman’s Head") kann die Eigentümerschaft Gurlitts nicht eindeutig geklärt werden, so dass diese nicht an Gurlitt restituiert wurden.
Was hat die für die Restitution Verantwortlichen veranlasst, das zu tun? Heute wissen wir, dass Hildebrand Gurlitt tief in die dubiosen Geschäfte der Kunsthändler in Hitlers Auftrag verstrickt war. Offensichtlich konnte er den Alliierten damals aber ein anderes Bild von sich vermitteln. 1942 war Gurlitt - in Hamburg "ausgebombt" - nach Dresden gezogen, wo seine Mutter lebte. Dort begann er den Direktor der Dresdner Gemäldegalerie und Kunstkäufer Hermann Voss bei dessen Einkäufen für den "Sonderauftrag Linz" in Paris zu unterstützen. Er selbst sah und beschreibt sich dabei nur als einen untergeordneten Mitarbeiter, der keine genauen Kenntnisse über die Vorgänge bei offiziellen Stellen gehabt hat. In Paris selektierte Gurlitt die Kaufoptionen für Voss vor und empfahl ihm diese mit Hilfe von Fotografien. Voss entschied dann - auf Gurlitts Kunstsachverstand vertrauend - anhand dieser Fotos, häufig ohne die Bilder gesehen zu haben. Nur bei einem besonders hohen Preis lehnte er einen Ankauf ab. Gurlitt selbst gibt an, gewusst zu haben, dass auch jüdische Sammlungen in Frankreich enteignet worden waren, involviert sei er in diese Vorgänge aber nicht gewesen. Auch stand er mit anderen beteiligten Personen kaum in Kontakt, sein einziger Ansprechpartner war Hermann Voss. Nachdem Gurlitt in der Folge des Krieges auch in Dresden "ausgebombt" worden war, zog er mit seiner Familie nach Possendorf in der Nähe Dresdens. Auch dort traf er wieder auf Hermann Voss, der im benachbarten Weesenstein Zuflucht gefunden hatte. Gemeinsam überlegten sie, wie sie die Kunstwerke der Gemäldegalerie Dresden und auch die Kunstwerke des Wiesbadener Museums, die in Weesenstein ausgelagert waren, schützen könnten. Eine Unterbringung in einer Auslagerungsstätte in Mainfranken wurde angedacht. Dorthin reiste Gurlitt am 22. März 1945 zusammen mit seiner Familie und mehreren Kisten voller Kunstwerke - keines davon allerdings aus der Dresdener Gemäldegalerie. In Aschbach angekommen residierte er mehrere Tage im Schloss des befreundeten Baron Pollnitz, bis er ein kleines Haus im Ort bezog. Danach wollte er – so zumindest seine Aussage gegenüber den Alliierten – nach Dresden zurückkehren und die Kunstwerke der Gemäldegalerie abholen, aber der Kriegsverlauf vereitelte diese Pläne.
Ein Blick in die Akten des Nationalarchivs in Washington zeigt, dass Hildebrand Gurlitt bereits früh Anträge auf Rückerstattung seiner Kunstwerke stellte. Die Vordrucke für die Stellung eines “Claims”, eines Rückgabeantrags an den Central Collecting Point, belegen, dass die erste Voraussetzung für eine Restitution darin bestand, dass die Erwerbung nachweislich vor dem 01.01.1938 erfolgt war. Der erste Antrag stammt vom 12. Juni 1946. Darin fordert Gurlitt die Rückgabe eines “Polospielers” von Max Liebermann, den er “etwa 1938″ von der Hamburger Kunsthalle gekauft habe. Am 1. Juli 1947 formuliert Gurlitt den Claim über ein weiteres Liebermann-Gemälde, “Karren in den Dünen” (mit der WIE-Nummer 1928 registriert), das er ebenfalls aus der Hamburger Kunsthalle, aber bereits 1937, käuflich erworben habe. Die angekündigten Bestätigungen seitens der Hamburger Kunsthalle standen zu diesem Zeitpunkt noch aus. Daran zeigt sich auch, wie langwierig ein solcher Restitutionsprozess sein kann.Am 21.04.1946 hat Gurlitt die Empfehlungsschreiben zusammen, die seinen guten Leumund bestätigen, und schickt sie zusammen mit einem Lebenslauf an den Central Collecting Point. Im Lebenslauf wird hervorgehoben, dass er 1930 von Vertretern der NSDAP aus seiner Position als Direktor des Stadtmuseums Zwickau, wo er sich sehr für moderne Kunst eingesetzt habe, hinausgedrängt wurde. 1930-33 war er Leiter des Kunstvereins Hamburg - auch dort ist seine Entlassung auf die Nationalsozialisten zurückzuführen. Da er keine Pension erhielt und als Schriftsteller nicht bei der Berufskammer zugelassen wurde, sah er den Beruf des Kunsthändlers als einzige Option.
Die Empfehlungsschreiben (von einem Hamburger Rechtsanwalt, der städtischen Kunstsammlung in Chemnitz und Gurlitts ehemaliger halbjüdischer Privatsekretärin) bestätigen allesamt, dass Gurlitt nicht nationalsozialistischer Gesinnung gewesen war. Die Privatsekretärin Maya Gotthelf etwa schreibt (06.03.1946):
"Ich habe in seinem Hause wiederholt zusammen mit Herrn Dr. Gurlitt den feindlichen Auslandssender gehört und nazifeindliche Gespräche geführt. Herr Dr. Gurlitt hat sich trotz seiner selbst sehr exponierten Stellung aufopfernd für Juden und politisch Verfolgte eingesetzt."
Direktor Friedrich Schreiber-Weigand (Chemnitz), 25.03.1946:
"Als Kunsthändler, in welche Lage die Verhältnisse ihn zwangen, ist er wiederum in der Nazizeit mit innerer Überzeugung und Mut für die angeprangerte “Entartete Kunst” eingetreten und hat damit manches der Werke gerettet und dem Privatbesitz zugeführt."
Der Hamburger Rechtsanwalt Dr. Clemens (19.01.1946):
"Dass Dr. Gurlitt sein Haus zum Mittelpunkt eines ausgesprochenen antinationalsozialistischen Kreises machte, ist umso mehr anzuerkennen, als das für ihn als einen zweimalig (in Zwickau und in Hamburg) von den Nationalsozialisten gemaßregelten Mischling besonders gefahrvoll war."
Von der Hamburger Kunsthalle reichte Gurlitt eine Bescheinigung ein, die bestätigt, dass die Kunsthalle das Liebermann-Gemälde “Wagen in den Dünen bei Katwijk” aufgrund dessen jüdischer Abstammung an Gurlitt verkauft habe. Der Direktor bittet um die Rückgabe an Gurlitt, der wiederum bereits schriftlich zugesichert habe, das Gemälde an die Kunsthalle kostenlos zurückzugeben. Ob tatsächlich eine kostenlose Rückgabe an die Hamburger Kunsthalle erfolgt ist, ist nicht sicher, aber das Gemälde befindet sich heute wieder in deren Besitz.All das zusammen muss dazu geführt haben, die Alliierten von der Rechtschaffenheit dieses Verfechters für die moderne Kunst und Verfolgten durch die Nationalsozialisten zu überzeugen und die Gurlittsche Sammlung als sein rechtmäßiges Eigentum zurückzugeben. Heute beurteilen wir diese Situation anders, da wir auch von Gurlitts Kunstkäufen im Dienste der Nationalsozialisten wissen. Unstrittig ist jedoch, dass er sich für moderne Kunst interessiert und auch für sie eingesetzt hat. Auf welchem Weg die Kunstwerke in seine Sammlung gekommen sind, muss noch im Einzelfall geklärt werden – diese Arbeit hätten die Restitutionsbeauftragten im CCP damals sicherlich nicht leisten können. Diese Aufgabe steht nun den heutigen Provenienzforschern bevor.
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